16. Der Rotmilan

Ein Rotmilan präsentiert sich


Eine Fahrradtour an den Uckerseen mit überraschender Begegnung


Bei einer Fahrradtour im Umkreis des Oberuckersees gehört eine Kamera mit angesetztem Teleobjektiv immer in eine Packtasche, gleichgültig, ob nur eine kurze Rundfahrt oder ein ausgedehnter Ausflug geplant ist. (Ein zweites Gehäuse mit Makroobjektiv ist übrigens auch immer dabei.) So war es auch am Ostermontag 2023, als am späten Nachmittag noch die Fahrräder aus dem Schuppen geholt wurden.

Die Sonne stand am Himmel, über dem Boden hatte sich seit dem Vormittag bereits Luftflimmern entwickelt, zwar der Jahreszeit entsprechend nur leicht, dennoch waren über größere Entfernungen kaum befriedigend scharfe Aufnahmen zu erwarten.
Kraniche sind in diesem Raum nahezu mit Sicherheit zu sehen, sobald man die Dörfer verlassen hat und auf einer der kleinen Straßen oder auf Feldwegen unterwegs ist. Doch besondere Aufnahmen, die das Bildarchiv bereichern, sind unter diesen Wetterbedingungen nicht wahrscheinlich.

Tatsächlich schienen sich diese Einschätzungen zu erfüllen: Auf den Wiesen zwischen Ober- und Unteruckersee waren Kraniche, Graugänse und andere Vögel zu sichten, einer der Kraniche sogar in mäßiger Distanz, doch dessen Haltung und der Hintergrund waren gewöhnlich, wie vielfach abgelichtet.

Auf dem Rückweg, einige hundert Meter nördlich des Dorfes Seehausen, in der welligen Landschaft aus einer Mulde auf die Ebene eines Feldes emporgekommen, zog eine Stelle im Feld mit noch niedrigem Bewuchs meine Aufmerksamkeit auf sich. Gar nicht sehr weit von der schmalen einspurigen Straße entfernt, auf der wir unterwegs waren, bewegten sich dunkle Flecken, sehr bald als einige Nebelkrähen und ein größerer bräunlich gefärbter Vogel zu bestimmen. Dort musste etwas liegen, was die Tiere angezogen hatte. Wie nicht anders zu erwarten, flogen die Vögel auf, als wir uns auf der Straße mit den Fahrrädern auf eine Distanz von etwa 100 Metern genähert hatten. Auf der Höhe dieser Stelle - die wenige Dutzend Meter seitab von der Straße lag - konnte das Objekt der Begierde erkannt werden: ein aufgebrochener Hasenkadaver. Er lag in einer der Furchen zwischen den Reihen der jungen Rapspflanzen, die im rechten Winkel zur Straße verliefen und daher gut einsehbar waren.


Umkreisungen


Während die Nebelkrähen - die im Osten Deutschlands verbreitete und hier typische Art der Krähenvögel - davonflogen, blieb der Greifvogel von seiner Nahrungsquelle offenbar so angezogen, dass er Kreise zu ziehen begann, zunächst mit großem Radius.

Bei dem Greifvogel handelte es sich um einen Rotmilan.

Der Rotmilan, beständig Kreise ziehend.

 
Der Vogel flog einige Male so niedrig, dass die Deckseite der Flügel erfasst werden konnte.

Dass die Vögel in die Nähe ihrer Nahrung zurückkehren könnten, schien ziemlich wahrscheinlich.

Die Lichtverhältnisse waren günstig. Angesichts der Jahres- und Tageszeit (gegen 18 Uhr im April, also verhältnismäßig niedriger Sonnenstand) versprachen Aufnahmen erfolgreich zu werden, wenn die Sonne im Rücken des Fotografen stand.

Daher fiel die Entscheidung, einfach ruhig stehen zu bleiben und abzuwarten.

Das Licht ermöglichte Aufnahmen, die auch Einzelheiten des Vogels erkennen lassen.



Nach einigen Minuten zeichnete sich ab, dass die Hoffnungen berechtigt waren: Der Greifvogel, ein offenbar hungriger Rotmilan, begann allmählich engere Kreise zu ziehen.


Beobachten ohne Deckung


Nun blieb es abzuwarten, ob lediglich einige ansprechende Flugbilder des Greifvogels entstehen könnten - oder ob der Vogel es wagen würde, trotz der Anwesenheit von Menschen zu dem Aas zurückzukehren, so dass er auch beim Fressen fotografiert werden könnte. Ich hatte wenig Hoffnung, denn der Kadaver lag nicht weit von der Straße entfernt und es gab für uns keinerlei Deckung, weder einen Strauch in der Nähe noch sonst einen als Sichtschutz geeigneten Bewuchs am Wegesrand.
Die einzige Chance bestand daher in der weitestmöglichen Minimierung aller Bewegungen: also auch keinen Objektivwechsel vornehmen, der das Hantieren an den Fahrradpacktaschen vorausgesetzt hätte.

(Nachdrücklicher Dank an meine Frau, die kein vergleichbar langbrennweitiges Objektiv mitgenommen hatte und sich darum entschied, meine Bildchancen zu erhöhen, indem sie nach dem Absteigen vom Fahrrad bewegungslos stehen blieb und darauf verzichtete, überhaupt ihre Kamera herauszuholen!)

Das Dilemma extremer Telebrennweiten


Es ist ein bekanntes Dilemma für den Wildtier-Fotografen, wenn ein Objektiv mit sehr langer Brennweite an der Kamera montiert ist: Bei ruhigem Motiv kann die Telewirkung vorteilhaft sein. Aber es ist schwierig, ein sich schnell bewegendes Tier überhaupt in das äußerst enge Bildfeld zu bekommen und darin zu halten.

In diesem Fall hatte ich eine 420mm - Festbrennweite im MFT-Format an der Kamera. Das entspricht im Bildwinkel 840mm bei Kleinbild.

Die Kamera in der Serienbild-Einstellung zu nutzen konnte bedeuten, eine Unzahl von Bildern ohne Treffer zu riskieren. Also fiel die Entscheidung, nur Einzelbilder auszulösen, in den Augenblicken, in denen die Kamera das Motiv im Sucher zeigt.


 

Ruhiges Verhalten wird belohnt



Der Vogel landet neben dem Kadaver.


Was ich kaum zu hoffen gewagt hatte: Der Vogel ließ sich nach einiger Zeit trotz der Nähe der Menschen am Hasenkadaver nieder.


Lange blieb der Rotmilan in dieser Haltung nahezu bewegungslos sitzen.


Ganz geheuer war die Situation dem Vogel aber offenbar nicht. Lange blieb der Rotmilan sitzen und beobachtete uns. Wir versuchten jede Bewegung zu vermeiden. Schließlich flog der Milan doch wieder auf und begann erneut Kreise zu ziehen.


Auffliegen des Vogels.

Erneutes Kreisen - der Radius wird ein wenig enger.


Die zweite Landung.


Dann landete er ein zweites Mal. Dabei hatte ich den Kamerasucher am Auge behalten, auf die Stelle gerichtet, an der das Aas lag. Wie lange würde ich diese Haltung selbst bewegungslos beibehalten können?


Störungen


Doch es kam eine Störung anderer Art... Unser ruhiges Verhalten hatte auch einen Krähenvogel ermutigt, zu diesem Anziehungspunkt zurückzukehren.


Eine einzelne Nebelkrähe wagt die Rückkehr.

Erstaunlicherweise veranlasst dies den Milan zum Auffliegen.
Aus der Ferne hatten wir beobachtet, wie der Greifvogel offenbar gefressen hatte, obgleich er von mehreren Krähen umringt gewesen war. Doch vermutlich war es dem Milan nun zuviel, auf beiden Seiten verschiedenartige mögliche Gefahrenquellen im Auge behalten zu müssen.


Der Milan fliegt auf, nachdem sich die Nebelkrähe gesetzt hat.

Wir waren besorgt, dass weitere Krähen zurückkehren und den Milan dadurch endgültig vertreiben könnten. Doch das geschah nicht. Im Gegenteil, auch die einzelne Krähe näherte sich nicht dem Kadaver, sondern flog bald wieder davon.

Der Milan nahm seine Kreise wieder auf. Also erst einmal wieder Flugstudien...


 Der Lichteinfall ließ unterschiedlich wirkende Bilder entstehen.

Dann wiederholte es sich: Landung, Einnehmen der gleichen starren Haltung, angespannte Beobachtung.


Nahezu exakt die gleiche Position wie zuvor nahm der Vogel ein.


Wiederum Abwarten und Beobachten - auf beiden Seiten...

Und wiederum Auffliegen und Kreise ziehen...

Erstaunliche Näherungen - Fotografische Herausforderungen


Der Radius der Kreise wurde nach und nach immer kleiner, und da auch die Flughöhe immer geringer ausfiel, führte die Flugbahn des Milans manchmal im Abstand weniger Meter an uns vorbei.


Einen Vogel, der in geringem Abstand um den Fotografen kreist, mit einem starken Teleobjektiv bei sehr engem Bildwinkel in den Sucher zu bekommen und zu behalten, das ist eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Manchmal war der recht große Vogel bei seinem Vorbeiflug so nah, dass er bei Weitem nicht mehr in das Bildfeld gepasst hätte.


Flugstudien: Der Beobachter wird beobachtet



Flugstudien, Haltungsstudien: Der Vogel hat uns Beobachter im Auge.

Der Moment, in dem die Flugbahn des Vogels genau im rechten Winkel zur Blickrichtung des Beobachters und der Kamera gerichtet ist, offenbart besonders klare, formschön geschwungene Linien im Umriss.


Flugstudien: Der Boden wird beobachtet

Wenn sich der Vogel in langsamerem Flug auf die Beobachtung des Bodens nahezu senkrecht unter ihm konzentriert, werden die steuernden Schwanzfedern in manchen Augenblicken besonders gut erkennbar.

Selbst geringfügige Änderungen der Flügelhaltung ergeben andere Bildwirkungen. - 
Die Aufnahmen sind nicht i
m Serienbildmodus der Kamera entstanden, sondern jeweils als Einzelbilder ausgelöst.

Auch von der Unterseite ist das Gefieder gut zu studieren.

Der Erfolg


Der Milan kehrt wieder zurück, nachdem er einige Runden in mittlerer Höhe gedreht hat. Noch einmal folgt eine Phase des Beobachtens, nun aber nur kurz, dann bewegt er sich an eine andere Stelle als die, an der er bisher stets gesessen hatte: Er setzt sich zwischen die jungen Rapspflanzen statt in die Furche und beginnt zu fressen.

Der Vogel begibt sich in eine andere Position.

Die Geduld hat sich für beide Seiten gelohnt. Der Milan kann fressen wir können ihn dabei beobachten und fotografieren.

Der Milan frißt, sein Auge bleibt uns zunächst zugewandt. Etwas später dreht er uns die Rückseite zu - wagt es also, uns nicht mehr im Auge zu behalten.

Nach einigen Minuten des Fressens hat der Vogel genug und fliegt davon.


Es gab keine Störung durch andere Radfahrer oder durch Wanderer. Auch Pkw waren in dem Zeitraum nicht vorbeigekommen – deren Vorbeifahren hätte die Vögel erfahrungsgemäß allerdings auch kaum beeinträchtigt.


Eine Fahrradtour an den Uckerseen kann immer überraschende Tierbegegn
ungen bereithalten.


Alle Aufnahmen: Olympus E-M1 X, 300mm f4 Pro + MC-14 (effektiv 420mm, f 5,6) bei Offenblende, 1/3200 sec, Auto-ISO (max. 1600).
Der von der Kamera gewählte ISO-Wert lag zwischen 500 und 1600. Bei den Aufnahmen wurde in der Re
gel manuell eine Belichtungskorrektur eingesteuert, im Bereich +/- 2/3 EV.


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